Film-Tipp: Happy End von Michael Haneke

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Von Ulrike Schirm
 
Die großbürgerliche Familie Laurent, Besitzer einer Baufirma, residiert in einem noblen Anwesen, nahe der Küste von Calais. In der pompös ausgestatteten Villa fehlt es an Nichts. Sündhaft teure Gemälde schmücken die Wände, gespeist wird von feinstem Geschirr, riesige Sitzlandschaften laden zum Verweilen ein. Betreut und in Ordnung gehalten wird das Luxusobjekt von marokkanischen Hausangestellten. Doch der luxuriöse Schein trügt gewaltig. Tauschen möchte man mit keiner der dort anwesenden Personen, die in dem schlossähnlichen Palast, ohne einen Funken von Empathie und Wärme für nicht einen der zahlreichen Familienmitglieder, leben.

Der unterkühlte Umgang untereinander, lässt einen zutiefst frösteln. Die 13-jährige Ève (Fantine Harduin) beschäftigt sich mit ihren Filmchen auf ihrem Handy-Video. Ihre Chat-Kommentare beklagen die Eiseskälte ihrer Mutter. Das emotional gestörte Kind füttert ihren Hamster mit Schlaftabletten. Als das Tier sich nicht mehr regt, richtet sich ihr Hass direkt gegen die Mutter. Sie mischt ihr verschiedene Tabletten ins Essen, woraufhin die Mutter ins Koma fällt. „Ich war fünf und da ist mein Bruder gestorben. Es war Scheisse“, vertraut sie ihrem Smart-Phone an. Daraufhin wird sie in der Familie Laurent untergebracht, in der ihr Vater mit seiner zweiten Frau lebt. Jetzt erfährt man, wie kompliziert und verworren Verwandtschaftsverhältnisse in dieser maladen Familie sind. Salopp gesagt, das Mädchen kommt vom Regen in die Traufe. Ihr Vater betrügt die zweite Frau, mit der er ein Baby hat, mit einer Geliebten, die auf besonderen Sexpraktiken steht, der Großvater (Jean-Louis Tringtignant) versuchte sich mehrmals das Leben zu nehmen, die Madame des Hauses (Isabelle Huppert) versucht mit unlauten Mitteln und dem Beistand von Anwälten, einen Rechtsstreit wegen eines tödlichen Arbeitsunfalls in der Firma so hinzubiegen, dass die Abfindung gering ausfällt. Ausserdem steht das Bauunternehmen kurz vor der Pleite. Gerissen wie sie ist, verlobt sie sich mit einem Briten, der in London geschickt den rettenden Kredit zur Verfügung stellen soll. Der Einzige mit „gesundem Menschenverstand“ ist Pierre Laurent (Franz Rogowski) der nicht mehr in dem „Horrorhaus“ lebt. Ausgerechnet er, der sich gegen die masslose Heuchelei wehrt, der aus Verzweiflung trinkt, soll die Firma übernehmen. Natürlich ist er das Schwarze Schaf der Familie und wird von seiner Mutter mit rüder Autorität zurechtgewiesen. Man möchte fast Beifall klatschen, als er auf einer Familienfeier mit einer Gruppe afrikanischer Flüchtlinge auftaucht und die Bemerkung fallen lässt: „Das ist Jamila, unsere Sklavin. Sie ist ein wahres Gottesgeschenk“. Um die Contenance zu wahren, wird für die Flüchtlinge von Madame schnell ein Tisch freigemacht, sie dürfen an dem Essen teilnehmen.

Überhaupt, Pierre ist in dieser bitterbösen Farce, die einzige Figur, die berührt. Eine der bemerkenswertesten Szenen ist sein Auftritt in einer Karaoke Bar, in der er seine traurige Verloren- heit herzzerreißend zum Ausdruck bringt. Auch Ève ist eine traurige Gestalt, auch sie, ein Opfer von Lieblosigkeit, alleingelassen, ein Kind, was seinen Schmerz dem Smartphone in Form von Textnachrichten anvertraut, einem kalten Gerät, von dem sie keine Antworten bekommt. Wer Hanekes Filme kennt, weiss wie bitterböse sie sind und wie schwer zu verdauen.

Schon im „Weissen Band“ schaute er hinter die Fassade einer bürgerlich bigotten Familie. Noch heute erinnere ich mich schaudernd an „Funny Games“. Ein Horror, der mich tagelang nicht los liess. Nun „Happy End“, wo allein der Titel mehr als bitterböse ist. Auch wenn man etwas ratlos zurückbleibt, die „Eiseskälte“ spürt man noch Stunden danach.

Start: 12.10.17

Ulrike Schirm