Kritik: Capernaum - Stadt der Hoffnung

Drucken

Kino-Start: 17.01.2019

Von Ulrike Schirm

Es ist eins der Bilder, die man so schnell nicht vergisst. Zain, ein etwa 12-jähriger, schmächtiger Junge, zieht ein Baby im Armenviertel von Beirut hinter sich her. Es sitzt in einem Topf, befestigt auf einem alten Surfbrett. Sie sind auf der Suche nach Nahrung, nachdem die Mutter des Kindes schon seit einigen Tagen nicht mehr nach Hause gekommen ist. Niemand weiss, wo die Frau geblieben ist.

Zain kann sein Alter nicht angeben, da seine Eltern das Geld für die Registrierung ihrer Kinder nicht haben und er somit offiziell gar nicht existiert. Der zarte Junge schuftet für Assad, der der armen Familie eine Bruchbude vermietet hat. Als Zain mitbekommt, dass seine geliebte 11-jährige Schwester Sahar an Assad verschachert werden soll, rastet er aus. Mit allen Mitteln versucht er, seine Schwester vor Assad zu beschützen.

Voller Wut und Trauer packt er ein paar Habseligkeiten in einen blauen Müllsack und haut ab. Auf einem Rummelplatz versucht er Arbeit zu finden.

Unterschlupf findet er bei Rahil mit ihrem Baby Yonas. Sie ist illegal in der Stadt, aus Äthiopien geflüchtet und haust mit dem Kind in einer Blechhütte. Sie ist froh, dass Zain, während sie auf dem Rummel arbeitet, das Baby versorgt. Dafür erhält er so etwas wie Kost und Logis.

Doch dann steht Zain mit dem Kind alleine da. Die Mutter ist verschwunden. Zain, der eigentlich selber noch ein Kind ist, übernimmt die Verantwortung für das Flüchtlingskind.

Als der Eingang zu der jämmerlichen Wellblechhütte versperrt ist, weiss sich Zain nicht mehr zu helfen. Er gibt das Kind mit Tränen in den Augen an einen Mann ab, der aus dem Elend noch irgendwie Profit schlägt und der verspricht, sie nach Schweden zu bringen.

Zain steht mit Handschellen vor Gericht. Kurz bevor er flüchten will, erfährt er, dass seine elfjährige Schwester schwanger war und gestorben ist. Er rastet aus. Das einzige , was ihm jetzt noch bleibt ist der Versuch, seine Eltern zu verklagen. „Ich will meine Eltern verklagen, weil sie mich auf die Welt gebracht haben“.

„Das Leben ist Scheisse. Alles was ich höre ist Hurensohn, Stück Scheisse…..diese Eltern dürfen keine Kinder mehr kriegen“.

Die Libanesin Nadine Labaki ((„Caramel“) zeigt immer auf Augenhöhe mit Zain, dessen verzweifelten Überlebenskampf in einer Welt, in der Kinder hart arbeiten müssen, nicht zur Schule gehen, das Geld mehr als knapp ist und das Schlimmste überhaupt, Kinder werden ihrer eigentlich zustehenden, wohlbehüteten Kindheit beraubt.

Gedreht hat Labaki an Originalschauplätzen, fast nur mit Laiendarstellern, deren wahres Leben sich kaum  von dem ihrer Filmfiguren unterscheidet. Ihren dokumentarisch empathisch angehauchten Bildern, kann man sich nicht entziehen.

Capernaum steht als Metapher für eine Stadt in der Bibel, die von einem Erdbeben zerstört wurde und zu einem Ort des Chaos deklariert wurde.